Nun sitze ich hier. Alleine in meiner kleinen Wohnung mitten in Berlin. Dort, wo normalerweise das Leben tobt. Doch heute ist nicht normalerweise. Denn ich bin isoliert von allem was mir wichtig ist und von allem, was für mich „Leben“ bedeutet. Von meiner Familie und meinen Freunden. Von unbeschwerten Restaurantabenden. Von stundenlangen, philosophischen Gesprächen in meiner Lieblingsbar. Vom Nächte durchfeiern. Von der Unbeschwertheit des Lebens. Und vor allem von der Freiheit – ein Privileg, das ich jetzt erst wirklich zu schätzen lerne. Und dennoch. Ich fühle mich auf eine merkwürdige Weise ruhig und fast schon befreit.
Ungewissheiten
Als ich vor circa 2 Monaten das erste Mal vom Coronavirus hörte, hätte ich mir niemals träumen lassen, dass sich unser gesellschaftliches und persönliches Leben innerhalb kürzester Zeit wegen dieses Virus komplett auf den Kopf stellen wird. Hätte mir damals jemand gesagt, das Millionen Menschen einer Ausgangsperre unterliegen werden, dass die Wirtschaft weltweit zum Erliegen kommen und tausende Menschen um ihre Jobs und Existenzen bangen werden, ich hätte es wahrscheinliche mit einem „Wo-hat-der-denn-seine-Verschwörungstheorien-her“ – Gedanke abgetan. Doch diese Situation ist tatsächlich real und entpuppt sich leider auch nach dem Aufwachen nicht nur als schlechter Albtraum.
Ob Einzelperson oder Unternehmen. Ob Restaurantbesitzer oder Clubbetreiber. Jeder hat seine ganz eigenen Probleme, die bewerkstelligt werden müssen. Leicht ist es in diesen Zeiten sicher für niemanden. Aber wir sind nicht allein. Wir alle müssen einen Teil unserer Freiheiten aufgeben, mit denen wir aufgewachsen sind und die für uns so selbstverständlich sind. Jetzt erst wird mir bewusst: Selbstverständlich ist gar nichts.
Auch in wirtschaftlicher Hinsicht bekomme ich die Cornakrise hautnah zu spüren. Seit letzter Woche bin ich auf Kurzarbeit umgestellt und muss nun erst einmal schauen, wie ich meine finanzielle Situation in den Griff bekomme und mein Leben auf die unerwarteten Begebenheiten umstellen. Denn die monatlichen Kosten laufen natürlich weiter und lassen sich nicht vom Coronavirus beirren. Wie lange wird diese Situation anhalten? Wie werde ich jetzt über die Runden kommen? Auch meine Eltern sind betroffen. Sie betreiben ein kleines Hotel mit Restaurant, dass im Zuge der Beschränkungen geschlossen werden musste. Wie lange kann man ein Hotel und Restaurant halten, wenn keine Gäste kommen dürfen? Wann darf wieder geöffnet werden?
Doch das sind nicht die einzigen Fragen und Herausforderungen die uns momentan beschäftigen und auf die sich schwer Antworten oder Best Practices finden lassen. Wie wird es generell weitergehen? In was für eine Richtung wird sich unser Leben nach der Coronakrise entwickeln? Wann dürfen wir wieder Reisen? Wieder frei sein? Wie wird sich unser gesamtes Miteinander verändern?
Fragen, die wir im Moment noch nicht beantworten können. Dinge, die wir im Moment sowieso nicht ändern können. Und Gedanken, die wir nicht zu weit denken sollten. Vielmehr sollten wir uns auf die positiven Aspekte konzentrieren, die diese Situation mit sich bringt und generell einmal überdenken, in welche Richtung sich unser Leben entwickelt hat.
Chancen
Über all die Ungewissheiten, Fragen, Wenns und Vielleichts versuche ich nicht mehr nachzudenken. Ich versuche die Situation nicht mehr als das schlimmste wahrzunehmen, was uns passieren konnte. Ich möchte sie als Chance sehen. Als Chance für mich, für unsere Gesellschaft, für unsere Welt.
Zeit für mich
Es klingt so einfach: „Sich Zeit für sich nehmen!“ Aber wenn wir ehrlich zu uns selbst sind. Wann nehmen wir uns schon mal Zeit nur für uns?
Mich hat der Alltagstrass fest im Griff. Sei es die Arbeit, der Anspruch an mich selbst immer alles perfekt und zu 150% abzuliefern, die ständige Erreichbarkeit bedingt durch das digitale Zeitalter, der Druck den ich mir selber mache. Oder der Freizeitstress, es immer jedem Recht machen zu wollen, alle meine Freunde sehen zu wollen, nichts verpassen zu wollen.
Und Jetzt? Jetzt fährt auf einmal die ganze Welt einen Gang zurück. Menschen rennen nicht mehr gestresst von A nach B. Millionen-Metropolen pulsieren nicht mehr. Gesellschaftliches Leben findet kaum noch statt. Es gibt nichts mehr, was verpasst werden könnte. Und ich komme zur Ruhe.
Der Stillstand gibt mir die Möglichkeit, mich nur auf mich zu konzentrieren. Darüber nachzudenken, was mir im Leben eigentlich wichtig ist. Was ich mir davon erwarte. Wo ich mich sehe und wo ich hin gehöre. Dinge aufzuarbeiten, die ich so lange verdrängt habe. Endlich finde ich die Zeit darüber nachzudenken. Endlich finde ich die Zeit wertzuschätzen, wie gut es mir eigentlich geht.
Und endlich: Ich habe seit sehr langer Zeit mal wieder das Gefühl, nicht fremdbestimmt zu sein, sondern einfach nur meinen eigenen Bedürfnissen nachgehen zu können. Was ich so selten mache! Wenn mir danach ist, ein Buch zu lesen, dann lese ich jetzt ein Buch. Wenn ich meditieren oder Sport machen möchte, dann mache ich das. Wenn ich einfach mal gar nichts machen möchte, dann mach ich gar nichts. (Wann habe ich zuletzt einfach mal gar nichts gemacht?)
Die Selbstreflexion ist für mich eine ganz große Chance inmitten der Coronakrise und inmitten all der negativen Aspekte. Ich fühle mich auf eine wundersame Weise befreit. Obwohl ich gerade auf so viele Freiheiten verzichten muss. Doch neben all dem Verzicht habe ich eine Freiheit hinzugewonnen. Die Freiheit die Zeit zu haben, um endlich zu mir selbst zurück zu finden. Und das tut so gut!


Soziale Kontakte während der Coronakrise
Ich vermisse menschliche Nähe. Was würde ich jetzt für eine Umarmung meiner Mutti oder meiner besten Freundin geben. Oder für ein Picknick mit meinen Freunden im Park, um die ersten Frühlingsmomente zu genießen. Momentan nicht möglich!
Aber ich sehe es positiv. Dank der modernen Technik können wir uns mit unseren Familien und Freunden jederzeit connecten, ob per Nachricht, Anruf oder Videochat. Mit meiner Mutti telefoniere ich mittlerweile 3 mal am Tag. Und ich bin mit allen, die mir wichtig sind, in Kontakt. Sogar öfter und intensiver als vor der Coronakrise. Das Social-Distancing auf physischer Ebene, bringt mich meiner Familie und meinen Freunden auf emotionaler Ebene sogar noch näher, als wir es ohnehin schon sind. Durch gegenseitige Unterstützung und das Füreinander da sein werden Verbindung geschaffen, die nur aus solch einer Krise hervorgehen können.
Natürlich können Skype und Facetime nicht die physischen Kontakte ersetzen. Dennoch: Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was wir ohne diese Möglichkeiten machen würden. Dafür, dass ich mir darüber keine Gedanken machen muss und dafür, dass ich weiterhin mit meinen Bezugspersonen in Kontakt sein kann. Dafür bin ich dankbar.
Diese Art der Kommunikation hat natürlich nicht nur Auswirkung auf unser persönliches Leben sondern auch auf unser berufliches Miteinander und die Art und Weise wie wir arbeiten. Wie die Coronakrise unser gemeinsames Arbeiten verändert kannst du in diesem Post nachlesen.
Umwelt
Wenn einer als Sieger aus der Coronakrise hervorgeht, dann ist es ganz klar unsere Umwelt. Der Mensch zieht sich zurück, die Welt kann durchatmen und die Umwelt profitiert. Von der lahmgelegten Wirtschaft. Den stillstehenden Fabriken. Den Flugzeugen, die nun am Boden und nicht in der Luft zu finden sind. Den Kreuzfahrtschiffen, die in den Häfen liegen und nicht auf offenen Meeren verkehren. Den resultierenden CO2 Einsparungen.
Den Rehab, den unsere Umwelt so dringend nötig hatte, hat sie sich am Ende selbst genommen. Und die ersten Erfolge sind bereits erkennbar. Während der Himmel über China die geringste Schadstoffbelastung seit Jahren verzeichnet und der Smog sich nach und nach auflöst, kehren in Venedig Delphine und Fischschwärme in die Lagune zurück. Verschmutztes Wasser wird auf einmal kristallklar und Luftqualitäten verbessern sich um ein Vielfaches. Überall auf der Welt.

Die Verschnaufpause, die wir unserer Welt gerade gönnen, ist eine Chance für den Klimaschutz und für jeden Einzelnen für uns. Um zum Beispiel unsere Umwelt, Natur und Tierwelt mehr wertzuschätzen. Und um zu verstehen, dass die Welt nicht auf uns angewiesen ist. Wir aber auf sie.
Solidarität in der Coronakrise
In einer Gesellschaft, bei der man nach den landesweiten Hamsterkäufen nur annehmen kann, dass sich jeder selbst der Nächste ist, kann die Forderung nach solidarischem Handeln und Empathie herausfordernd sein. Doch diese Herausforderung nehmen wir an. Und beweisen der Welt und uns selbst, dass es auch anders geht.
Ob Deutschland, das italienische und französische, schwerkranke Patienten aufnimmt, weil die Länder überfordert sind. Ob die Bundesregierung, die in Windeseile Hilfspakte in immensen Höhen verabschiedet, um Existenzen zu retten. Ob die Krankenschwestern, Einzelhandelskaufleute und alle die, die unser System für das Gemeinwohl am Laufen halten. Ob meine Mutti, die extra für die älteren Nachbarn ans andere Ende der Stadt fährt, um bei Lidl die einzigen Walnüsse zu kaufen, die ihnen schmecken.
An jeder Ecke begegnet mir Solidarität und Empathie. An jeder Ecke versuchen sich Menschen untereinander zu helfen und zu unterstützten. Wir können mehr als nur Klopapier hamstern. Nämlich für einander da sein. Nutzen wir diese Chance, unsere Gesellschaft etwas menschlicher zu machen.
Gesunde Ernährung & Sport
Jeden Morgen wenn mein Wecker klingelt, bin ich drauf und dran, direkt aufzuspringen und meine übliche Morgenroutine zu starten. Die immer damit beginnt, direkt die ersten Nachrichten und Mails auf dem Handy zu checken und immer damit endet, dass ich in der völlig überfüllten U-Bahn, auf dem Weg zu meinem Co-Working Space, einen leichten klaustrophobischen Anfall bekomme. Minimal gestresst beginnt so normalerweise mein noch stressiger Arbeitstag.
Doch bedingt durch die Coronakrise, arbeite ich nun schon seit 3 Wochen von zu Hause aus. Die Zeit, die ich morgens im Bad vergeude, die für meinen Arbeitsweg drauf geht und die ich für mein Brötchen beim Bäcker nebenan brauche – diese Zeit nutze ich gerade jeden Morgen nur für mich. Für tägliche Pilates & Yogastunden. Für ein ausgewogenes Frühstück. Für ein bisschen Ruhe.

Nicht nur mein Morgen, mein ganzer Alltag hat sich in kürzester Zeit auf einen neuen, gesunden Lebensstil umgestellt.
Und ich möchte es nicht mehr missen. Die Overnight Oats, die ich schon am Abend vorbereite, und früh nur noch mit Bananen, Himbeeren und Honig finalisiere. Das Gefühl, das ich nach einer halben Stunde Pilates habe, etwas Gutes für meinen Körper getan zu haben. Den entspannten Start in den Tag. Die Mittagspause, die sonst immer hinten runterfällt. Und die Tatsache, dass es meine Entscheidung ist, wie ich den Tag starte und was ich aus diesem Tag mache. Auch nach Corona.
Was wir aus der Coronakrise lernen können
Wie werden wir also als Gemeinschaft, und als Einzelner, aus der Coronakrise hervorgehen?
Mit etwas mehr Empathie in der Welt! Mit mehr Ruhe und Gelassenheit! Mit mehr Bewusstsein für das, was wir haben, und manchmal einfach vergessen wertzuschätzen! Vielleicht auch mit weniger Alltagsstress! Mit einer Welt, die nun endlich die dringend benötigte Pause bekommen hat! Und mit einem Menschen, der versteht, was wirklich wichtig ist.
Das Entscheidende, was wir aus diesen Umständen lernen können, ist zu verstehen, dass unser Leben auch anders ablaufen kann. Auf der einen Seite sollten wir uns bewusst werden, was für ein privilegiertes Leben wir führen und endlich damit anfangen es wertzuschätzen. So auch unsere Umwelt und unser Miteinander. Auf der anderen Seite zeigt uns diese Situation aber auch ein Leben auf, aus dem wir viel lernen können. Dinge, die wir unbedingt versuchen sollten beizubehalten, auch wenn das Gesellschaftliche Leben wieder an Fahrt aufnimmt. Me-time, gesundes und bewusstes Leben und Klimaschutz sind keine Formate die sich irgendjemand mal nebenbei ausgedacht hat. Es sind Reaktionen auf Probleme unserer modernen und digitalen Welt. Probleme die dringend Lösungen erfordern. Jede Krise birgt auch eine Chance für Neuorientierung – die Coronakrise nicht ausgenommen!
Auch wenn viele Fragen offenbleiben. In einem Punkt bin ich mir sicher. Wenn wir im Sommer wieder mit unseren Freunden im Park sitzen können, unsere Familien in die Arme nehmen können und die Unbeschwertheit des Lebens genießen können. Dann werden wir uns bewusst sein, was für ein Glück wir haben. Und wir werden jeden Moment doppelt genießen.
2 Comments
Wunderschön und so treffend auf den Punkt gebracht. Der Text spricht mir einfach aus der Seele. Vorher hatte Ich immer das Gefühl das die Zeit für einem Selbst immer zu kurz gemessen erschien. Alles Unwichtige ist auf einmal weg gefallen, alles auf das nötigste reduziert. Und plötzlich haben wir einen klaren Blick auf die Dinge und Menschen um uns herum, wissen was uns eigentlich wirklich wichtig ist und wen wir wirklich vermissen.
Hoffentlich hält dieses Bewusstsein auch nach „Corona“ noch weiter an so, dass wir als Gesellschaft mental und miteinander wachsen.
Liebe Andrea,
wie schön, dass du auf meinem Blog gelandet bist und vielen Dank für deinen Kommentar.
Ich bin auch gespannt, wie es nach Corona weiter geht. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir alle die neuen Denkweisen und Verhaltensmuster beibehalten können, wenn wir nur wollen 🙂
Ich finde auch deinen Gedanken schön „ alles wird auf das nötigste reduziert“. Jetzt merkt man erst einmal, was und vor allem wie wenig eigentlich wirklich wichtig ist.
Ganz liebe Grüße,
Judith